Keine Angst vor Jersey!

Da es für das Vernähen von Jersey und anderen dehnbaren Stoffen wie Sweat oder Interlock einige Dinge zu beachten gilt, glauben viele, es sei kompliziert oder mit einer normalen Haushaltsnähmaschine nicht machbar.
Dabei verzeihen gerade die elastischen Stoffe kleine Unregelmäßigkeiten viel mehr als feste Webware.

Beginnen wir mit dem Stoff-Kauf:

Bei Jersey handelt es sich um Maschenware, d.h. der Stoff wurde gestrickt oder gewirkt und nicht gewebt. Dadurch erhält er seine dehnbare Eigenschaft.
Je nach der Art des Strickverfahrens unterscheiden wir Single- und Double-Jersey, aber auch Interlock-, Jacquard- und Cloqué-Jersey. Jersey kann aus z.B. Viskose, Baumwolle, Polyester und Schurwolle bestehen oder auch aus Fasermischungen.

Am gebräuchlichsten ist wohl der Single-Baumwolljersey. Er wurde an nur einer Nadelreihe gestrickt und hat eine rechte und eine linke Seite.
Ein geringer Anteil von Elasthan (bis zu 7%) ist für die Herstellung von alltagstauglicher Kleidung empfehlenswert, da dadurch das spätere Kleidungsstück länger in Form und die Farben länger leuchtend bleiben.
Wenn du bereits beim Stoffkauf ein bestimmtes Projekt  planst, kaufe auf jeden Fall 10 % mehr, als im Schnittmuster angegeben!

Egal, für welchen Jersey du dich entscheidest: ob deine Kleidungsstücke möglichst lange in Form bleiben oder nicht, liegt weniger am Nähen, als an der Vorbereitung des Stoffes.

Jersey auf jeden Fall vorwaschen!

Außer Wachstuch und Kunstleder wasche ich beinahe jeden Stoff, den ich vernähen möchte vor. Ähnlich wie bei tierischer Wolle, reagieren die Baumwollfasern auf den häufigen Wechsel der Wassertemperatur bei einem normalen Waschgang in der Waschmaschine mit Schrumpfen; nur nicht so auffallend stark.

Bei dehnbaren Stoffen wie Jersey ist das Vorwaschen jedoch besonders wichtig, denn wenn der Stoff industriell auf Ballen gerollte wird, ist er in der Regel immer etwas gedehnt, damit er schön glatt ist. Beim Waschen und anschließenden Trocknen bekommt er seine natürlich fallende Form zurück.
Hast du schon mal ein günstiges Shirt gekauft, was nach dem ersten Waschen total verzogen war? Wo sich die Seitennähte plötzlich an Bauch und Rücken befanden? Oder eins, was nach dem Waschen viel breiter als lang war? Das war ein Shirt, wo der Jersey direkt vom Ballen aus verarbeitet wurde.
Ich empfehle einen normalen Waschgang für Buntwäsche bei 40 °C. Bitte kein Eco-Wassersparprogramm! Denn das bewirkt, dass der Stoff verstärkt aneinander reibt, was die Baumwollfasern aufrauht, verfilzt und nach nur wenigen Wäschen zur Pilling-Bildung führt und die Farben schneller verblassen lässt. Also lieber mehr Wasser und dafür das Waschmittel minimieren!
Als Waschmittel benutze ich Waschnüsse* oder Alvito Öko Waschlösung neutral*. Beides dürfte auch die empfindlichste Haut gut vertragen, beides ist unparfümiert und beides ist schonend zur Umwelt.

Keine Angst vor dem Trockner!
Die meisten Hersteller empfehlen für die Stoffe keine Trockneranwendung, einfach, weil sie verständlicherweise keine Lust auf rechtliche Unannehmlichkeiten haben, wenn z.B. jemand den Stoff in den Trockner steckt und die 5 % Einlaufrate, die ganz normal sind, beim Hersteller reklamiert.
Um ein Kleidungsstück trocknergeeignet zu machen, musst du den Stoff aber entgegen den Empfehlungen vor dem Nähen im Trockner trocknen, denn wie gesagt, die Hitze kann nochmals zum Einlaufen führen.
Ich trockne Jersey mit oder ohne Elasthan dabei immer auf der höchsten Stufe. Die Schmelztemperatur von Elasthan beträgt 250 °C und Baumwolle verträgt Hitze sowieso. In dieser Hinsicht kann also nichts passieren! Im Gegenteil, niedrige „Schontemperaturen“ verlängern die Zeit im Trockner und somit das Aneinanderreiben der Stoffe, wodurch ein Aufrauen der Oberfläche mit vermeintlichem Verblassen der Farben sowie Pillingbildung durch das Aneinanderreiben der Stoffe gefördert wird.
Aus diesem Grund empfehle ich, auch vorgetrocknete/trocknergeeignete Kleidung nur in Ausnahmefällen in den Trockner zu geben und vorzugsweise an der (frischen) Luft ohne pralle Sonnenseinstrahlung zu trocknen.
Wer von vornherein auf den Trockner verzichtet, sollte die Stoffe möglichst im Freien bei einem leichten Lüftchen trocknen oder den Stoff beim Trocknen immer mal wieder etwas aufschütteln.

Nicht bügeln!
Dadurch würde der Jersey wieder gedehnt werden!
Na wenn das kein klarer Vorteil gegenüber gewebten Stoffen ist!
Fertige Kleidungsstücke dürfen dann aber natürlich gebügelt werden!

Bereit zum Zuschneiden:

Eine häufige Herausforderung sind die eingerollten Schnittkanten bei Jersey. Bügeln hilft hier kaum etwas, sondern macht es eher noch schlimmer.
Ich empfehle, entweder die Schnitt-Teile nicht direkt an den Kanten anzulegen, sondern 2-3 cm Stoffverlust in Kauf zu nehmen, oder – wenn du ganz knapp kalkuliert hast – ein unelastisches Verstärkungsband (z.B. Vlieseline*) an den Rändern aufzubügeln.

Lege dir nun also den Stoff so auf deine Unterlage, wie er für deinen Zweck am besten liegt. Bei einer Stoffbreite von ca. 1,40 m und der Herstellung von Erwachsenen-Kleidung wirst du ihn vermutlich einmal komplett in der Mitte zum Bruch falten, für Kinderkleidung reicht es – je nach Größe – oft, nur ein Viertel oder Drittel des Stoffs zum Bruch zu legen. Achte dabei auf den Maschenlauf, bei gewebten Stoffen nennt sich das Fadenlauf.
Der Maschenlauf sollte längs zur Bruchkante verlaufen. Das ist wichtig, damit sich der Jersey am Ende in die richtige Richtung dehnt.

Der richtige Maschenlauf ist wichtig, damit sich das Kleidungsstück am Ende in die richtige Richtung dehnt.

Wenn dein Stoff so vorbereitet liegt, solltest du ihn ca. 15 min so ruhen lassen, damit er in seine Urform zurück geht, denn auch du wirst ihn beim Ausbreiten und Glattstreichen ein winziges bisschen gedehnt haben.

Jetzt kannst du endlich deine Schnitt-Teile auf den Jersey legen. Beachte, ob diese mit oder ohne Nahtzugabe sind! Ich wähle gerne eine Nahtzugabe von 1 cm, bei kleineren Teilen, wie Mützen, Unterwäsche oder Kinderloops gerne auch 0,75 cm (Nähfüßchenbreite).
Die Saumzugabe sollte 1,7 – 1,8 mm betragen.
Wenn du zum Zuschneiden einen Rollschneider* benutzt, reicht es, wenn du die Schnitt-Teile nur etwas beschwerst (z.B. mit dicken Muttern) oder die Teile nur an wenigen Stellen mit Stecknadeln fixierst. Sei vorsichtig mit den spitzen Nadeln, damit du die zarten Fäden nicht zerstichst. Das gibt sonst später eventuell unschöne Laufmaschen.

Wenn du einen Rollschneider benutzt, reicht das Beschweren der Papier-Schnitteile bzw. reichen 1-2 Stecknadeln am Bruch.

Schneidest du mit einer Schere zu, benötigst du mehr Stecknadeln und du solltest mit dem unteren Schenkel der Schere immer möglichst auf deiner Unterlage bleiben.
Eventuelle Markierungen kannst du dir durch kleine Einschnitte auf der Nahtzugabe – sog. Klipse – machen.

Alles zugeschnitten? Dann kann genäht werden!

Erst mal eine gute Nachricht: Jersey braucht nicht versäubert zu werden, denn es franst nicht aus!

Ganz wichtig: Benutze eine Jersey-Nadel* (auch: Ball-Point-oder Stretch-Nadel)!!! Diese Nadeln sind speziell für Strickstoffe gefertigt und sind an der Spitze ein wenig abgerundet und nicht so spitz. Dadurch rutschen sie beim Nähen durch die Maschen durch und verletzen nicht die Fäden.

Ganz wichtig: die richtige Nadel!

Hier mal ein abschreckendes Beispiel von meinem ersten Jersey-Shirt, als ich dachte, mit einer Universal-Nadel könne man schon nichts falsch machen :

Universal-Nadeln oder andere Nadeln mit scharfer Spitze können die Fäden des Stoffs zerstören, was zu unschönen Löchern oder Laufmaschen führt.

Die Nadelstärke sollte 70 der 80 betragen.

Als nächstes solltest du an deiner Nähmaschine alle Möglichkeiten ausschöpfen, die das Dehnen des Jerseys beim Nähen verringern. Das ist ganz besonders dann wichtig, wenn du quer zum Maschenlauf nähst, z.B. beim Säumen

Wenn du öfter mit dehnbaren Stoffen arbeiten möchtest, dir aber nicht gleich eine teure Overlockmaschine anschaffen möchtest, empfehle ich dir den Kauf eines Obertransportfußes für deine Nähmaschine. Dadurch wird das Dehnen des Jerseys minimiert, da der Oberfuß beim Stofftransport mithilft und nicht etwa den Stoff von oben festhält, während der Transporteur von unten den Stoff nach hinten zieht.

Ein Obertransportfuß sorgt für einen gleichmäßigen Strofftransport von oben und unten und minimiert somit u.a. das Dehnen von Jersey.

Aber ich selbst habe einige Jahre ohne so ein Füßchen Jersey verarbeitet (habe lange nicht gewusst, dass es so etwas gibt) und auch sehr akzeptable Ergebnisse erzielt.

Auf jeden Fall solltest du den Nähfüßchendruck deiner Nähmaschine – sofern möglich – geringer stellen. Schau in die Bedienungsanleitung, wie das bei deiner Maschine geht und probiere den richtigen Druck an ein paar Probestücken aus, wo du quer zum Maschenlauf nähst.
Ich selbst wähle immer den geringsten Druck. Bei mir „0“.

Gute Ergebnisse erzielt man auch mit der Verringerung des Nähfüßchendrucks.

Falls das bei dir nicht geht, musst du vor allem beim Nähen quer zum Maschenlauf, also auf jeden Fall beim Säumen, Tricks anwenden, um zu schönen Ergebnissen zu kommen:

Entweder:
du bügelst an den Stellen, wo du von außen absteppen willst oder an der Unterkante des Saumes auf der linken Stoffseite ein unelastisches Nahtband* auf.

oder:
du legst Backpapier oder zwischen Stoff und Nähfüßchen. Da hierbei die Sicht stark beeinträchtigt ist, empfehle ich das nur für Säume. Natürlich musst du das Papier am Ende wieder vorsichtig entfernen, aber Backpapier lässt im Gegensatz zu anderem Papier keine Schnipsel oder Papierfasern unter den Nähten übrig.

Mit beiden Methoden erzielt man gute Erfolge. Perfektionisten können aber beide Methoden noch miteinander kombinieren 😉

Ein aufbügelbares Nahtband vermindert das Dehnen beim Absteppen und Zusammennähen von Jersey.

Auch Backpapier auf der oberen Stofflage hält Jersey beim Nähen in Form.

Bei sehr dehnbarem Jersey, wie z.B. Interlock, solltest du Stellen, die vom Ausleiern bedroht sind, wie z.B. die Schulternähte an Kleidern oder Shirts, ebenfalls mit aufbügelbarem Nahtband* versehen.

Kommen wir zur richtigen Stichwahl für Jersey und andere dehnbare Stoffe.
Auf jeden Fall muss ein elastischer Stich gewählt werden! Und die Möglichkeiten sind selbst auf einfachen Nähmaschinen recht vielseitig:

Overlockstich

  • setzt professionell aussehende Akzente
  • für den lockeren und/oder coolen Look
  • besonders geeignet zum Absteppen und Säumen
  • auch zum Zusammennähen von ausfransenden Stoffen, da gleichzeitig eine Versäuberung der Nahtzugabe erreicht wird, Die Nahtzugabe sollte der Stichbreite entsprechen bzw. am Ende entsprechend zurückgeschnitten werden
  • Bedienungsanleitung beachten: oft ist ein spezieller Overlock-Fuß nötig

Overlock-Stich

Dreifacher Geradstich

  • zum Zusammennähen
  • zum Absteppen z.B. von elastischen Einfass-Streifen

Dreifacher Geradstich

Schmaler Zickzack-Stich

  • zum Zusammennähen, bedingt zum Absteppen von außen
  • an manchen Maschinen vorprogrammiert, ansonsten Stichbreite max. 1,0, Stichlänge 2 – 2,5

Wenn man den Zickzack-Stich sehr schmal einstellt, eignet er sich zum Zusammennähen elastischer Materialien.

Einige Nähmaschinen haben bereits einen schmalen elastischen Zickzack-Stich vorprogrammiert.

Dreigeteilter Zickzack-Stich

  • eher zum Absteppen von außen und für Säume geeignet

Dreigeteilter Zickzack-Stich

Elastische Zierstiche (siehe Nähmaschinen-Bedienungsanleitung)

  • zum Absteppen von außen und zum Säumen
  • setzen interessante Akzente
  • auf der Stoffunterseite sollte (wasserlösliches) Stickvlies fixiert sein, damit die Muster gleichmäßig werden

Elastische Zierstiche können eine schöne Abwechslung sein.

Geradstich mit der Zwillingsnadel

  • vorwiegend zum Absteppen von außen
  • 2 Oberfäden werden benötigt, Unterfaden läuft zickzack-förmig
  • professionelles Aussehen
  • die Einstellung der Fadenspannung ist für glatte Nähte von Bedeutung und bei einigen Maschinen oft unbefriedigend, oft muss die Unterfadenspannung auch korrigiert werden und man sollte sich überlegen, ob man diesen Aufwand betreiben will

Naht mit einer Zwillingsnadel

Zugegeben, dieser Artikel über Jersey ist lang. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Nähen von Jersey-Kleidung kompliziert ist

Als HandwerkerIn weißt du aber selbst am besten: Probieren geht über studieren!

Am besten du probierst die verschiedenen Stiche auf mehreren kleinen Jersey-Stücken aus!
Lege den Jersey beim Experimentieren auch in verschiedene Richtungen, damit du siehst, wie unterschiedlich er beim Nähen reagiert, je nachdem, ob du z.B. Seitennähte schließt, Längsnähte absteppst oder einen Saum nähst.

Und dann: ran an die Arbeit!

Viel Spaß dabei!

Anmerkung:

Mit *gekennzeichnete Textstellen führen zu Produktempfehlungen auf externen Seiten. Ich versichere, dass ich ausschließlich Produkte empfehle, von denen ich mich selbst überzeugt habe.

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